Das ist der Gebetsruf eines Menschen, der vor dem heiligen Gott steht. Es quält ihn eine abgrundtiefe Not. ln dem einen Wort »Tiefe« ist alles zusammengefasst, was ihn bedrückt. Es ist wohl nicht so sehr leibliche Krankheit oder Todesnot als vielmehr das Leiden unter einer unüberwindlichen Kluft, die ihn von Gott trennt. Quält nicht auch uns oft das Gefühl, als habe Gott uns wegen unvergebener Schuld verlassen? Wenn Gott nicht selbst die Brücke über diesen Abgrund schlägt, sind wir verloren. »Denn so du willst dassehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben?- (Luther). Doch aus dieser Tiefe dürfen wir mit dem Beter unsere Hände zu ihm emporheben in der Gewissheit, dass er uns gnädig ist. Das ist keine Selbst verständlichkeit. Vordem heiligen Gott kann kein Mensch bestehen. Nun ist das Wunderbare: Wo uns die Augen geöffnet werden für das ungeheure Gewicht der Sünde und zugleich für unsere Ohnmacht, die Sünde wegzuschaffen, werden unsere Augen zugleich geöffnet für das Geschenk der göttlichen Gnade. Gottes Gnade ist mächtiger als unsere Schuld. Wir dürfen es wagen, Gott um Vergebung anzuflehen. Er wird seine Ohren einer solchen Bitte nicht verschließen. Bei aller Freude darüber will Gott doch gefürchtet sein. Luther schreibt dazu in der Auslegung dieses Psalms: »Wer Gott nicht fürchtet, der schreit nicht, dem wird auch nicht vergeben; und darum, dass man Gottes Gnade erlangt, so ist er zu fürchten und allein zu fürchten, gleichwie er allein vergibt. Sind wir nicht immer wieder in Gefahr, die Vergebung zu leicht zu nehmen und eine billige Gnade daraus zu machen? Vergessen wir doch nie, was Gott es sich hat kosten lassen. Jesus hat am Kreuz an unserer Statt die tiefste Tiefe der Gottverlassenheit durchlitten. Er trug die Last unserer Schuld. Er öffnete uns den Weg zur Umkehr. Darauf können wir uns verlassen. Jesu Leben, Sterben und Auferstehung sind das feste Fundament für die Gewissheit unseres Heils. Mag auch die Nacht unserer Sünde uns noch umfangen, so ist doch das Licht der Erlösung schon aufgegangen. Es wird die Nacht unserer Sünde überwinden. Ob bei uns ist der Sünde viel, bei Gott ist vielmehr Gnade; sein Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade. Er ist allein der gute Hirt, der Israel erlösen wird aus seinen Sünden allen.
Dr. Friedrich Grau
Aus „Aufsehen zu Jesus“ 365 Andachten
Dr. Friedrich Grau
Aus „Aufsehen zu Jesus“ 365 Andachten